HEYSE, Paul
Abschied II
Als wir beiden mußten scheiden,
Eine Nelke gab sie mir;
Die geliebten, stillbetrübten
Augen ruhten lang auf ihr.
Da vom zarten Strauch im Garten
Sie die dunkle Blume brach,
Lang mit Neigen in den Zweigen
Bebt' er seinem Liebling nach.
Doch den Wunden läßt gesunden
Heimat, die ihn treu umgibt,
Wenn die welke dunkle Nelke
Blatt auf Blatt im Wind zerstiebt.
Mädchenlied
Soll ich ihn lieben,
Soll ich ihn lassen,
Dem sich mein Herz schon heimlich ergab?
Soll ich mich üben,
Recht ihn zu hassen,
Rate mir gut, doch rate nicht ab.
Wild ist er freilich,
Hastig von Sitten,
Keiner begreift es, wie lieb ich ihn hab.
Aber so heilig
Kann er auch bitten,
Rate mir gut, doch rate nicht ab.
Reichere könnt´ich,
Weisere haben,
Gut ist im Leben ein sicherer Stab.
Keiner doch gönnt´ich
Den wilden Knaben -
Rate mir gut, doch rate nicht ab.
Laß ich von schlimmer
Wahl mich betören,
Besser, ich legte mich gleich ins Grab,
Klug ist es immer
Auf Rat zu hören,
Rate mir gut, doch rate nicht ab.
Vorfrühling
Stürme brausten über Nacht,
Und die kahlen Wipfel troffen.
Frühe war mein Herz erwacht,
Schüchtern zwischen Furcht und Hoffen.
Horch, ein trautgeschwätz'ger Ton
Dringt zu mir vom Wald hernieder.
Nisten in den Zweigen schon
Die geliebten Amseln wieder?
Dort am Weg der weiße Streif -
Zweifelnd frag' ich mein Gemüte:
Ist's ein später Winterreif,
Oder erste Schlehenblüte?
Venedig
Nun ist entthront die stolze Wellenbraut,
Die einst den trotz′gen Nacken bog dem Meere.
Nicht wird sie mehr auf goldner Prachtgaleere
Dem ungestümen Freier angetraut.
Doch in der Lenznacht, wenn mit Donnerlaut
Die Springflut steigt, dann ist′s, als ob die Hehre
Wehrlos dem Element zu eigen wäre,
Auf das sie tags so kühl herniederschaut.
Hoch über die Piazzetta schwillt die Flut
Und braust herein, ersäufend alle Gassen,
Und um San Marco plätschert Ruderschlag.
Das Meer umwirbt die Braut mit Liebeswut,
Doch nur die Füße darf es ihr umfassen
Und schleicht beschämt von dannen lang vor Tag.