STORM, Theodor
    
      
    
      
    Noch einmal! 
  
    
      
    Noch einmal fällt in meinen Schoß
  
Die rote Rose Leidenschaft;
Noch einmal hab ich schwärmerisch
In Mädchenaugen mich vergafft;
Noch einmal legt ein junges Herz
An meines seinen starken Schlag;
Noch einmal weht an meine Stirn
    Ein juniheißer Sommertag.
    
      
    
      
    
      
    Hyazinthen
  
    
      
    Fern hallt Musik; doch hier ist stille Nacht,
  
Mit Schlummerduft anhauchen mich die Pflanzen.
Ich habe immer, immer dein gedacht;
Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.
    
      
    Es hört nicht auf, es rast ohn Unterlaß;
  
Die Kerzen brennen und die Geigen schreien,
Es teilen und es schließen sich die Reihen,
Und alle glühen; aber du bist blaß.
    
      
    Und du mußt tanzen; fremde Arme schmiegen
  
Sich an dein Herz; o leide nicht Gewalt!
Ich seh dein weißes Kleid vorüberfliegen
Und deine leichte, zärtliche Gestalt. - -
    
      
    Und süßer strömend quillt der Duft der Nacht
  
Und träumerischer aus dem Kelch der Pflanzen.
Ich habe immer, immer dein gedacht;
     Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.
    
      
    
      
    
      
    Meeresstrand 
  
    
      
    Ans Haff nun fliegt die Möwe,
  
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
     
    
      
    Graues Geflügel huschet 
  
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
     
    
      
    Ich höre des gärenden Schlammes 
  
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen -
So war es immer schon.
     
    
      
    Noch einmal schauert leise 
  
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
    Die über der Tiefe sind.
    
      
    
      
    
      
    Abends 
  
    
      
    Auf meinem Schoße sitzet nun 
  
und ruht der kleine Mann;
Mich schauen aus der Dämmerung
Die zarten Augen an.
    
      
    Er spielt nicht mehr, er ist bei mir, 
  
Will nirgend anders sein;
Die kleine Seele tritt heraus
Und will zu mir herein.
    
      
    Mein Häwelmann, mein Bursche klein, 
  
Du bist des Hauses Sonnenschein,
Die Vögel singen, die Kinder lachen,
    Wenn deine strahlenden Augen wachen.
    
      
    
      
    
      
    Wer je gelebt in Liebesarmen 
  
    
      
    Wer je gelebt in Liebesarmen, 
  
Der kann im Leben nie verarmen;
Und müßt er sterben fern, allein,
Er fühlte noch die sel'ge Stunde,
Wo er gelebt an ihrem Munde,
    Und noch im Tode ist sie sein."
    
      
    
      
    
      
    Die Stadt
    
      
    
      
    Am grauen Strand, am grauen Meer
    
      
    Und seitab liegt die Stadt;
    
      
    Der Nebel drückt die Dächer schwer,
    
      
    Und durch die Stille braust das Meer
    
      
    Eintönig um die Stadt.
    
      
    
      
    Es rauscht kein Wald, es schlägt im Mai
    
      
    Kein Vogel ohn Unterlass;
    
      
    Die Wandergans mit hartem Schrei
    
      
    Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
    
      
    Am Strande weht das Gras.
    
      
    
      
    Doch hängt mein ganzes Herz an dir,
    
      
    Du graue Stadt am Meer;
    
      
    Der Jugend Zauber für und für
    
      
    Ruht lächelnd doch auf dir, auf dir,
    
      
    Du graue Stadt am Meer.
    
      
    
      
    
      
    Du willst es nicht in Worten sagen
    
      
    
      
    Du willst es nicht in Worten sagen;
  
Doch legst du's brennend Mund auf Mund,
Und deiner Pulse tiefes Schlagen
    Tut liebliches Geheimnis kund.
    
      
    
      
    Du fliehst vor mir, du scheue Taube,
  
Und drückst dich fest an meine Brust;
Du bist der Liebe schon zum Raube
    Und bist dir kaum des Worts bewußt.
    
      
    
      
    Du biegst den schlanken Leib mir ferne,
  
Indes dein roter Mund mich küßt;
Behalten möchtest du dich gerne,
    Da du doch ganz verloren bist.
    
      
    
      
    Du fühlst, wir können nicht verzichten;
  
Warum zu geben scheust du noch?
Du mußt die ganze Schuld entrichten,
    Du mußt, gewiß, du mußt es doch.
    
      
    
      
    In Sehnen halb und halb in Bangen,
  
Am Ende rinnt die Schale voll;
Die holde Scham ist nur empfangen,
    Daß sie in Liebe sterben soll.
    
      
    
      
    
      
    Über die Heide 
  
    
      
    Über die Heide hallet mein Schritt;
  
Dumpf aus der Erde wandert es mit.
    
      
    Herbst ist gekommen, Frühling ist weit –
  
Gab es denn einmal selige Zeit?
    
      
    Brauende Nebel geisten umher;
  
Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.
    
      
    Wär ich hier nur nicht gegangen im Mai!
  
     Leben und Liebe – wie flog es vorbei!
    
      
    
      
    
      
    Herbst
  
    
      
    1
  
Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.
    
      
    Seufzend in geheimer Klage
  
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!
    
      
    Nebel hat den Wald verschlungen,
  
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.
    
      
    Nur noch einmal bricht die Sonne
  
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.
    
      
    Und es leuchten Wald und Heide,
  
Daß man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg' ein ferner Frühlingstag.
    
      
    2
  
    
      
    Die Sense rauscht, die Ähre fällt,
  
Die Tiere räumen scheu das Feld,
Der Mensch begehrt die ganze Welt.
    
      
    3
  
    
      
    Und sind die Blumen abgeblüht,
  
So brecht der Äpfel goldne Bälle;
Hin ist die Zeit der Schwärmerei,
    So schätzt nun endlich das Reelle!
    
      
    
      
    
      
    Die alte Lust ist neu erstanden
  
    
      
    Die alte Lust ist neu erstanden,
  
Pfingstglocken läuten übers Feld,
Und neu erwacht aus Schlummerbanden
In Liebesschauer rings die Welt;
Und jugendsüße Träume weben
Wie Märchen auf dem alten Stern.
Warum, o mein geliebtes Leben,
O sprich, warum bist du so fern?