MAYRÖCKER, Friederike
    
      
    
      
    Alpensprache Rohrmoos
  
    
      
    damals im Gebirge August waren die Abende kühl aber
  
unsere Seelen brannten zählten nachts die Sterne am Himmel erkannten
den Groszen und Kleinen Wagen Kassiopeia und Venus schliefen
einander in Armen haltend am Morgen die bloszen
Füsze im Tau gebadet flügelschlagende
Wälder. Manchmal ins Städtchen hinunter um Honig zu holen. Stifte
Papier und Wein zirpende Andacht. Wir
Setzen uns mit Tränen nieder denn unser Leben war zu kurz
    
      
    
      
    Der Aufruf
  
    
      
    Mein Leben:
  
ein Guckkasten mit kleinen Landschaften
gemächlichen Menschen
vorüberziehenden Tieren
wohlbekannten wiederkehrenden Szenerien
    
      
    plötzlich aufgerufen bei meinem Namen
  
steh ich nicht länger im windstillen Panorama
mit den bunten schimmernden Bildern
    
      
    sondern drehe mich wie ein schrecklich glühendes Rad
  
einen steilen Abhang hinunter
aller Tabus und Träume von gestern entledigt
auf ein fremdes bewegtes Ziel gesetzt:
    
      
    ohne Wahl
  
aber mit ungeduldigem Herzen
    
      
    
      
    Falsche Bewegung
  
    
      
    gestern
  
beim Auseinander-
gehen haben wir uns
beide Hände
gegeben-
aber nicht die Lippen
zum Kusz-
:eine plötzlich erstarrte
Umarmung?
frage ich mich
ruhelos
und in Tränen /
du blickst
ohne Lächeln
über die Schulter zurück
    
      
    
      
    Die Marmorne die Steinkühle die vorfrühlingsgraue Zauberei
  
    
      
    Die Marmorne die Steinkühle die vorfrühlingsgraue Zaubere
  
die ahnungsvolle flügelschlagende Zauberei hat mich endlich berührt
Ich erkenne dasz ich nichts mehr vermag gegen sie
als mich ihr hinzugeben mit sinkenden Armen berstenden Lidern
mit vergeblichen Zauberformeln die niemand aufgeschrieben hat.
Du hast mich so mächtig verzaubert dasz ich nun nicht mehr weisz
was ich dir für einen Namen geben soll
ob ich dich rufen darf
ob ich dir mein Lächeln nachsenden soll wie einen Brief
über die Hügel der Stadt
über den nächtlichen Strausz der Sterne
durch den Blasebalg des Winds.
Du hast mich ins Fröhliche verwandelt und strahlend gemacht
und ich erkenne dasz die schöne Erde bespannt ist mit deiner Haut
und dein Mund ist ein römischer Brunnen-Mund
und ich kann meine Hand in seine flieszenden Segnungen legen
und dein Auge von dem ich nie weisz welche Farbe es hat
(ist es honiggelb oder blau wie Nächte im Frühling?)
ist ein Bullauge geworden in einem weiszen Schiff
ein Bullauge grosz und bekränzt mit Meer-Rosen
und mit diesem weiszen Schiff fahren wir weit..