REDING, Josef
Friedland
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Das wird jetzt das Buch sein, das mich mein Leben lang begleitet. Glauben Sie uns, Herr Pfarrer, wir alle haben umgelernt.
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Ein solcher Ort der Gnade und Erlösung war Friedland in solch einer Perspektive...
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So lebt Gott doch in der Welt ohne Gott. Ihr Leid wird nicht vergebens sein für das Land, in dem Sie gelitten haben.
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Lass uns vergessen, was uns hart gemacht hat, und lass uns behalten, was uns menschlich machte in der Unmenschlichkeit.
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Friedland ist kein Ort auf der Landkarte mehr, es ist der Name für die Stunde, in der ein Mensch seine Seele aus dem Stacheldraht zurückholt.
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Hier aber werdet ihr wiedergeboren aus dem Wasser des Heils, das euch gefeit machen wird gegen alle Fesseln und Kerker.
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Die große Pause zwischen dem Gestern und dem Morgen – die Stunde Null, in der die Verzweiflung aufhört und die Hoffnung anfängt. Eine Heilige Stunde, deren tiefste Bedeutung in der Stille liegt.
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Sie standen da wie Männer, die aus einer anderen Welt kommen, die erst wieder lernen müssen, dass eine Handbewegung kein Befehl sein muss und ein Blick kein Urteil.
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Hier konnte sich der Heimkehrer zum ersten Mal wieder als Person fühlen, die nicht mehr nur eine Nummer, ein Stück Material ist, sondern ein Mensch, dem Respekt gebührt.
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Es waren die einfachen Dinge, die zählten: Das saubere weiße Laken, das Brot, das man sich selbst holte, der Regen, der nicht in den Schlamm fiel, sondern auf die Straße. Das war Freiheit.
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Und die Taube jagt den Greif
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„Aus der Bibel“, sagt das Mädchen. „Da steht, daß eines Tages alles anders, umgedreht sein wird. Die Angreifer werden zahm, und man folgt den Wehrlosen.“
„Ist hier das Wort zum Sonntag?“ fragt der junge Mann und grinst.
Das Mädchen sagt nichts. Zwischen den drei Menschen im Schlafzimmer ist Verlegenheit, die der Adler-Mann nach einigen Sekunden bricht: „Ich hau jetzt ab!“
„Und Sie kommen nicht wieder“, sagt das Mädchen. Es ist eine Feststellung, keine Frage.
„Vielleicht doch“, sagt der Mann zögernd.
„Wegen Arno?“
„Nein“, sagt der Mann und geht schnell durch den Korridor.
Das Mädchen blickt zum Stuhl an der Tür und ruft dem Mann nach: „Sie haben Ihren Steigbügel vergessen!“
Wieder Schritte auf dem Korridor.
„Sie haben Ihren Steig . . .“
Das Mädchen hört mitten im Satz auf. In der Tür steht Arno.
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Der Befund
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In der Imbisshalle werden vom Kebab-Kegel hauchdünne Scheiben geschnitten. Die Hände des Mannes mit dem Backenbart sind flink. Sein Messer ist scharf.
Andreas sieht dem behänden Mann zu. Der Mann spürt, dass Andreas ihn beobachtet, und lächelt. Andreas bestellt Mineralwasser. Er nimmt die Flasche und das Glas und setzt sich an einen leeren Tisch.
Nebenan sprechen einige Gäste miteinander, lebhaft und laut. Die fremden Sprachfetzen tun Andreas wohl. Er ist dankbar, dass die Männer mit sich selbst zu tun haben, dass sich niemand um ihn kümmert.
Andreas nimmt den Umschlag jetzt wieder in die Hand. Er ist so entschlossen wie seit Wochen nicht mehr. Er nimmt das Blatt heraus, liest sich im unteren Teil des gedruckten Textes an einer handgeschriebenen Zeile fest: HIV steht da in Großbuchstaben. Dann, klein dahinter, negativ.
Andreas trinkt das Mineralwasser aus der Flasche. Beim ersten Schluck merkt er, wie trocken sein Hals ist. Andreas trinkt hastig weiter. Er trinkt die kleine Flasche leer. Er merkt, wie die Kohlensäure in den Nasenlöchern kribbelt.
Jetzt weiß ich, woran ich bin, sagt Andreas, als er die Flasche absetzt. Er sagt es erst ein paarmal hörbar, dann leise, dann immer lauter. Die Männer am Nachbartisch halten einige Augenblicke inne. Dann reden sie weiter.
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Jerry lacht in Harlem
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Du kannst von der Freiheitsstatue aus mit der Kamera New York ins Bild nehmen. Das New York, das du kennst. Das Lesebuch-New-York: Empire State Building und Radio City Music Hall, Manhattan und den Broadway.
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Jetzt schwenke die Kamera nach links, acht Zentimeter nach links nur. Dann bekommst du Harlem in den Sucher. Harlem ist auch New York. Aber Harlem ist das andere New York. Das schwarze New York. Das New York des Drecks. Das New York der Slums. Das New York der Neger.
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Du siehst Harlems 135. Straße. Ein paar verrostete Fords stehen herum. Das Füllstroh einer zerborstenen Apfelsinenkiste ist über den Asphalt verstreut. Drüben, einsam, ein Polizist, wie alle Polizisten in Harlem zu Pferde. Zwei Negerfrauen streiten sich, keifen
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Nennt mich nicht Nigger
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Hätte ich hier in Zentralafrika nicht erwarte, einen Ne – einen Eingeborenen, der so gut Deutsch spricht, der überhaupt Deutsch spricht.
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Sie können ruhig Neger sagen, Monsignore (…). Das ist genauso töricht wie Eingeborener. Ich weiß, das Vokabular der Europäer zur Bezeichnung eines Afrikaners ist schmal. Was soll ich zu Ihnen sagen, Monsignore? Guten Tag, Weißer oder Einheimischer oder Boy?
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Als Juanita fort war
Ilse Velbert fühlte sich rundum wohl. Außen und innen. Vor einer Viertelstunde war Juanita gegangen. Ihr Vater war Gastarbeiter beim Städtischen Fuhrpark. Genauer: bei der Müllabfuhr. Und da Ilse gelesen hatte, daß man Weihnachten lieb zueinander sein soll, hatte sie zur Bescherung am Heiligen Abend Juanita eingeladen.
Ilse Velbert hatte mit Geschenken nicht gespart. Vielmehr ihre Eltern nicht, denn die mußten die Geschenke schließlich bezahlen. Juanita hatte bekommen: ein Paar Pelzhandschuhe, einen Füllfederhalter mit eingraviertem Namen, Rollschuhe und eine Tüte Spekulatius, Schokoladebonbons und Pfeffernüsse. Und Juanita hatte sich über die Geschenke gefreut. Man konnte es ihrem Gesicht ansehen. Und beim Nachhause gehen hat Juanita die Pelzhandschuhe gleich angezogen.
Ilse hatte der Klassenkameradin noch lange nachgewinkt. Und dann begann sie zu frieren und hatte die Haustür schnell zugemacht und war zu ihrem eigenen Gabentisch zurückgekehrt: ein Paar Stiefel aus Seehundfell, ein Mantel mit Pelzbesatz, rubinrote Ohrringe, ein Buch über die Tierwelt in der Serengeti und ein Heimkino mit zehn Trickfilmen.
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