KLEMM, Wilhelm



Stellung


Die Nacht arbeitet ununterbrochen. Schüsse jagen

Vorüber. Klatschen ein, oder seufzen davon,

Poltern fern wie Steingeröll. Vergähren. Ein Geschütz brüllt auf –

Die Gespenster der Vernichtung schnattern. Stunden versickern.


Über der Brustwehr Zackenkamm des Gebirges

Stockt ein Himmel ohne G ö tter. Rede leise !

An schl ü pfriger Wand lehnen die Graum ä ntel

Zwischen Schlaf und Wachen. Lichter schleichen geb ü ckt


Gewunden und eng wie ein darm ! Leuchtstern geht auf

Majest ä tisch und klar. Das Feld is weiss wie Mehl

Sekundenlang. Dann wieder Nacht. Bis des Scheinwerfers Geisterfinger

Abtastet zum tausendsten Male die Zone des Todes.



Nächtlichen Aussicht


….

Unter den dunklen Beschwörungen der Kanonen

Erhebt der Krieg sein nachtschwarzes Haupt.

Sein Hals wird dick. Seine ehernen Arme

Pressen sich ächzend in die Rippen der Heere.

…..


Sehnsucht


O Herr, vereinfache meine Worte.

Laß Kürze mein Geheimnis sein.

Gib mir die weise Verlangsamung.

Wieviel kann beschlossen sein in drei Silben!


Schenk mir die glühenden Siegel,

Die Knoten die Fernstes verknüpfen,

Gib den Kampfruf aus den heimlichen Schlachten der Seele,

Laß quellen den Schrei aus grünen Waideskehlen.


Feuersignale, über Abgründe geblinkt,

Botschaften, in fremde Herzen gehaucht.

Flaschenposten im Meere der Zeit,

Aufgefangen nach vielen Jahrhunderten.


Die Sprache


mit tausend Zungen,

wie Feuerräder schwingen,

Gebläse heißer Lungen


Riesenflügel klingen,
im Dämmerlicht.

nicht zu dringen.


die Erde bricht,

unter seinen Nüstern,

ehrwürdig Angesicht.


auf wilden Sturmregistern

leichter, dünner, reiner,

Morgenrot, ein feiner


Dunststrich, drin tausend fremde Namen flüstern.



Meine Zeit


Gesang und Riesenstädte, Traumlawinen,

Verblaßte Länder, Pole ohne Ruhm,

Die sündigen Weiber, Not und Heldentum,

Gespensterbrauen, Sturm auf Eisenschienen.


In Wolkenfetzen trommeln die Propeller.

Völker zerfließen. Bücher werden Hexen.

Die Seele schrumpft zu winzigen Komplexen.

Tot ist die Kunst. Die Stunden kreisen schneller.


O meine Zeit! So namenlos zerrissen,

So ohne Stern, so daseinsarm im Wissen

Wie du, will keine, keine mir erscheinen.


Noch hob ihr Haupt so hoch niemals die Sphinx!

Du aber sieht am Wege rechts und links

Furchtlos vor Qual des Wahnsinns Abgrund weinen!



Schlacht an der Marne


Langsam beginnen die Steine sich zu bewegen und zu reden.
Die Gräser erstarren zu grünem Metall. Die Wälder,
Niedrige, dichte Verstecke, fressen ferne Kolonnen.
Der Himmel, das kalkweiße Geheimnis, droht zu bersten.

Zwei kolossale Stunden rollen sich auf zu Minuten.
Der leere Horizont bläht sich empor.
Mein Herz ist so groß wie Deutschland und Frankreich zusammen,
Durchbohrt von allen Geschossen der Welt.

Die Batterie erhebt ihre Löwenstimme
Sechsmal hinaus in das Land. Die Granaten heulen.
Stille. In der Ferne brodelt das Feuer der Infanterie,
Tagelang, wochenlang.



Müdigkeit


Die himmlischen Ankläger und riesigen Advokaten

Streiten noch immerdar im hohen Raum.

Unten liegt ein Stilleben in den Mitternachtsstaaten:

Tote Adler, Menschenherzen und schwarzer Getränke Schaum.


Nur noch ein Haufen von Erinnerung und Unlustgefühl

Ist mein Dasein. Die Stirne verzweifelnd reibend

Sehn' ich mich, fern diesem schmerzlichen Gewühl,

Eines Immortellenkranzes schwarze Schleife zu beschreiben.


An der Front


Das Land ist öde. Die Felder sind wie verweint.

Auf böser Straße fährt ein grauer Wagen.

Von einem Haus ist das Dach herabgerutscht.

Tote Pferde verfaulen in Lachen.


Die braunen Striche dahinten sind Schützengräben.

Am Horizont gemächlich brennt ein Hof.

Schüsse platzen, verhallen – pop, pop, pauuu.

Reiter verschwinden langsam im kahlen Gehölz.


Schrapnellwolken blühen auf und vergehen. Ein Hohlweg

Nimmt uns auf. Dort hält Infanterie, naß und lehmig.

Der Tod ist so gleichgültig wie der Regen, der anhebt.

Wen kümmert das Gestern, das Heute oder das Morgen?


Und durch ganz Europa ziehen die Drahtverhaue,

Die Forts schlafen leise.

Dörfer und Städte stinken aus schwarzen Ruinen,

Wie Puppen liegen die Toten zwischen den Fronten.



Abrüstung

Das Essen wurde zuletzt so miserabel,
Daß mir die Eingeweide davonkrochen.
Die Luft roch wie der Atem eines Schellfisches.
Meine verpesteten Lungen drehten sich um ihre Stiele.


Unterdessen trieb die sogenannte Umgebung
Mit doppeltem Eifer ihren Mumpitz weiter.
Da erhob ich mich lärmend von meinem Platze.
Daß mein halbes Gesäß dran kleben blieb, was tut’s?


Einer von den Herren kam mir nachgestürzt
Mit vorwurfsvollen Augen: Es handle sich doch um das Dasein,
Und die Damen warteten doch und ob ich nicht bleiben wolle?
Ich schüttelte so heftig mit dem Kopfe, daß er abfiel.