KRECHEL, Ursula



Meine Mutter


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Als meine Mutter ein Vierteljahrhundert lang. Mutter gewesen war und Frau, aber das konnte sie. vergessen mit der Zeit, als sie so geworden war. wie eine anständige Frau werden mußte. klüger als die Großmutter, ergebener als die Tanten. sparsamer in der Küche und in der Liebe als eine. der das Glück in den Schoß gefallen war. als sie genug Krümel von der Tischdecke geschnippt. als sie die Hoffnung begraben hatte, einmal eine Dame. im Pelz zu sein wie in den Modeheften vor dem Krieg. die sie immer noch hinten in der Speisekammer hütete. als sie anfing, den Töchtern ins Gesicht zu sehen. auf der Suche nach Spuren, die sie im eigenen Gesicht. nicht fand, als sie nicht mehr vor Angst aufwachte. weil sie vom Bügeleisen geträumt hatte. das nicht ausgeschaltet war, als sie schon manchmal. wagte, die Beine am frühen Nachmittag. übereinanderzuschlagen, fraß sich ein Krebs. in ihre Gebärmutter, wuchs und wucherte. und drängte meine Mutter langsam aus dem Leben.
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Nachtrag


In den alten Büchern

sind die Liebenden vor Liebe

oft wahnsinnig geworden.

Ihr Haar wurde grau

ihr Kopf leer

ihre Haut fahl

vor Liebe, lese ich.


Aber nie ist jemand

wahnsinnig geworden

aus Mangel an Liebe

die er nicht empfand.

Auch das steht

in den alten Büchern.


So hätte denn der Mangel

einmal sein Gutes.


Einladung


Nimm vom Weibe eine Scheibe

speise, doch tu ihr nichts zuleide

wenn du dann bei nacktem Leibe

zerrst und ruckst an ihrer Seide?

nimm und iss, sie ist ja generös

sieh die Haut, straff noch und porös

fühl das Nervgeflatter rasend schnell

und das Licht, ich bitt dich, nicht so grell


Warnung


komm aus der höhe herab
steig mal von deinem roß

sieh einfach zu und staune

wie ich den kopf hebe

die schultern, die Arme

davonfliege in klarer luft

ohne mich umzusehen nach dir.


Die Taschenfrauen


Nicht nur heut am Mittwoch

bei Regen und Schneeglöckchen

gehen sie am Vorgarten entlang

vermummt in Schals und Mützen

kommen mit ihren Taschen so gegen elf

eilig vom Kaufmann an der Ecke

bei dem nur ein Scherz für sie abfällt

schleppen Blumenkohl und Möhren

Roggenbrot und Kräuterquark

in ihren tiefen Taschen

laufen den Kindern über den Weg

die schleppen aus der Schule

Ranzen, Turnschuhe, kneifen sich

raufen, hüpfen noch ein bißchen

dann in der Küche, wenn

die Taschenfrauen ihre tiefen Taschen

auspacken, alles in den Kühlschrank

möcht ich dabei sein, möcht sie

küssen und umarmen, wenn sie einmal

auf dem Grund der tiefen Taschen

suchen nach ihrem eigenen Leben.


Draußen


Mit den Wölfen heult schon das gerissene Lammfleisch

in Fellen gehen Polizisten umher und paaren sich

mit zweimotorigen Sägen. Früchte des müden Zorns

faulen im Laub unter Stapeln von Flugblättern.

Häher krächzen, kein Specht klopft ins Holz.

Altöl schlecken die Lämmer. Keines frißt aus der Hand.

Kehrmaschinen kriechen aus den Tälern, wirbeln Staub auf.

Die Lämmer ruhen gestärkt, blöken ins Frühjahr.

Keines frißt aus der Hand. Nach Seife riecht

die Welt, geronnener Milch und kurzem Atem

der Lärm des Waldes treibt uns nachhaus, schafsköpfig.

Kinosessel stürzen, im Himmel hängen moosige Matratzen.



Falb


Es ist ein harter Schnee gefallen

über Mützen und Kopfschmerz in der Nacht.

Es ist eine Stille auf den Boden gefallen

Stein beißt den Schnee, Salz taut den Weg

Blaumänner kauen auf Stullen, schaufeln

Schwarzarbeit. Du bückst dich, bückst dich

was taut, wird grau, der Schnee wird lau

Schneeschaufeln schaben dir den Rücken.

Ein dickes dummes Kind rutscht aus.