KRECHEL, Ursula
    
      
    
      
    Meine Mutter
  
    
      
    …..
    
      
    Als meine Mutter ein Vierteljahrhundert lang. Mutter gewesen war und Frau, aber das konnte sie. vergessen mit der Zeit, als sie so geworden war. wie eine anständige Frau werden mußte. klüger als die Großmutter, ergebener als die Tanten. sparsamer in der Küche und in der Liebe als eine. der das Glück in den Schoß gefallen war. als sie genug Krümel von der Tischdecke geschnippt. als sie die Hoffnung begraben hatte, einmal eine Dame. im Pelz zu sein wie in den Modeheften vor dem Krieg. die sie immer noch hinten in der Speisekammer hütete. als sie anfing, den Töchtern ins Gesicht zu sehen. auf der Suche nach Spuren, die sie im eigenen Gesicht. nicht fand, als sie nicht mehr vor Angst aufwachte. weil sie vom Bügeleisen geträumt hatte. das nicht ausgeschaltet war, als sie schon manchmal. wagte, die Beine am frühen Nachmittag. übereinanderzuschlagen, fraß sich ein Krebs. in ihre Gebärmutter, wuchs und wucherte. und drängte meine Mutter langsam aus dem Leben.
    
      
    …..
    
      
    
      
    
      
    Nachtrag
  
    
      
    In den alten Büchern
  
sind die Liebenden vor Liebe
oft wahnsinnig geworden.
Ihr Haar wurde grau
ihr Kopf leer
ihre Haut fahl
vor Liebe, lese ich.
    
      
    Aber nie ist jemand
  
wahnsinnig geworden
aus Mangel an Liebe
die er nicht empfand.
Auch das steht
in den alten Büchern.
    
      
    So hätte denn der Mangel
  
    einmal sein Gutes.
    
      
    
      
    
      
    Einladung
  
    
      
    Nimm vom Weibe eine Scheibe
  
speise, doch tu ihr nichts zuleide
wenn du dann bei nacktem Leibe
zerrst und ruckst an ihrer Seide?
nimm und iss, sie ist ja generös
sieh die Haut, straff noch und porös
fühl das Nervgeflatter rasend schnell
    und das Licht, ich bitt dich, nicht so grell
    
      
    
      
    
      
    Warnung
  
    
      
    komm aus der höhe herab
    
      
    steig mal von deinem roß
  
sieh einfach zu und staune
wie ich den kopf hebe
die schultern, die Arme
davonfliege in klarer luft
    ohne mich umzusehen nach dir.
    
      
    
      
    
      
    Die Taschenfrauen
  
    
      
    Nicht nur heut am Mittwoch
  
bei Regen und Schneeglöckchen
gehen sie am Vorgarten entlang
vermummt in Schals und Mützen
kommen mit ihren Taschen so gegen elf
eilig vom Kaufmann an der Ecke
bei dem nur ein Scherz für sie abfällt
schleppen Blumenkohl und Möhren
Roggenbrot und Kräuterquark
in ihren tiefen Taschen
laufen den Kindern über den Weg
die schleppen aus der Schule
Ranzen, Turnschuhe, kneifen sich
raufen, hüpfen noch ein bißchen
dann in der Küche, wenn
die Taschenfrauen ihre tiefen Taschen
auspacken, alles in den Kühlschrank
möcht ich dabei sein, möcht sie
küssen und umarmen, wenn sie einmal
auf dem Grund der tiefen Taschen
    suchen nach ihrem eigenen Leben.
    
      
    
      
    
      
    Draußen
  
    
      
    Mit den Wölfen heult schon das gerissene Lammfleisch
  
in Fellen gehen Polizisten umher und paaren sich
mit zweimotorigen Sägen. Früchte des müden Zorns
faulen im Laub unter Stapeln von Flugblättern.
Häher krächzen, kein Specht klopft ins Holz.
Altöl schlecken die Lämmer. Keines frißt aus der Hand.
Kehrmaschinen kriechen aus den Tälern, wirbeln Staub auf.
Die Lämmer ruhen gestärkt, blöken ins Frühjahr.
Keines frißt aus der Hand. Nach Seife riecht
die Welt, geronnener Milch und kurzem Atem
der Lärm des Waldes treibt uns nachhaus, schafsköpfig.
Kinosessel stürzen, im Himmel hängen moosige Matratzen.
    
      
    
      
    Falb
  
    
      
    Es ist ein harter Schnee gefallen
  
über Mützen und Kopfschmerz in der Nacht.
Es ist eine Stille auf den Boden gefallen
Stein beißt den Schnee, Salz taut den Weg
Blaumänner kauen auf Stullen, schaufeln
Schwarzarbeit. Du bückst dich, bückst dich
was taut, wird grau, der Schnee wird lau
Schneeschaufeln schaben dir den Rücken.
Ein dickes dummes Kind rutscht aus.