MÜLLER, Wilhelm
    
      
    
      
    
      
    Gute Nacht
    
      
    
      
    Fremd bin ich eingezogen,
  
Fremd zieh ich wieder aus.
Der Mai war mir gewogen
Mit manchem Blumenstrauß.
Das Mädchen sprach von Liebe,
Die Mutter gar von Eh' -
Nun ist die Welt so trübe,
    Der Weg gehüllt in Schnee.
    
      
    
      
    Ich kann zu meiner Reisen 
  
Nicht wählen mit der Zeit:
Muß selbst den Weg mir weisen
In dieser Dunkelheit.
Es zieht ein Mondenschatten
Als mein Gefährte mit,
Und auf den weißen Matten
    Such ich des Wildes Tritt.
    
      
    
      
    Was soll ich länger weilen, 
  
Daß man mich trieb' hinaus?
Laß irre Hunde heulen
Vor ihres Herren Haus!
Die Liebe liebt das Wandern,
Gott hat sie so gemacht -
Von einem zu dem andern -
    Fein Liebchen, gute Nacht!
    
      
    
      
    Will dich im Traum nicht stören,
  
Wär' schad' um deine Ruh',
Sollst meinen Tritt nicht hören -
Sacht, sacht die Türe zu!
Ich schreibe nur im Gehen
An's Tor dir gute Nacht,
Damit du mögest sehen,
    Ich hab' an dich gedacht.
    
      
    
      
    
      
    Erstarrung
    
      
    
      
    Ich such' im Schnee vergebens 
  
Nach ihrer Tritte Spur,
Hier, wo wir oft gewandelt
    Selbander durch die Flur.
    
      
    
      
    Ich will den Boden küssen, 
  
Durchdringen Eis und Schnee
Mit meinen heißen Thränen,
    Bis ich die Erde seh'.
    
      
    
      
    Wo find' ich eine Blüthe, 
  
Wo find' ich grünes Gras?
Die Blumen sind erstorben,
Der Rasen sieht so blaß.
    
      
    Soll denn kein Angedenken 
  
Ich nehmen mit von hier?
Wenn meine Schmerzen schweigen,
    Wer sagt mir dann von ihr?
    
      
    
      
    Mein Herz ist wie erstorben, 
  
Kalt starrt ihr Bild darin:
Schmilzt je das Herz mir wieder,
    Fließt auch das Bild dahin.  
    
      
    
      
    
      
    Der stürmische Morgen
    
      
    
      
    Wie hat der Sturm zerrissen 
  
Des Himmels graues Kleid!
Die Wolkenfetzen flattern
    Umher in mattem Streit.
    
      
    
      
    Und rote Feuerflammen 
  
Ziehn zwischen ihnen hin:
Das nenn ich einen Morgen
    So recht nach meinem Sinn!
    
      
    
      
    Mein Herz sieht an dem Himmel 
  
Gemalt sein eignes Bild -
Es ist nichts als der Winter,
    Der Winter kalt und wild!
    
      
    
      
    
      
    
      
    Wanderschaft
  
    
      
    Das Wandern ist des Müllers Lust,
  
das Wandern!
Das muß ein schlechter Müller sein,
dem niemals fiel das Wandern ein,
das Wandern.
Vom Wasser haben wir's gelernt,
vom Wasser!
Das hat nicht Rast bei Tag und Nacht,
ist stets auf Wanderschaft bedacht,
das Wasser.
Das sehn wir auch den Rädern ab,
den Rädern!
Die gar nicht gerne stille stehn,
die sich mein Tag nicht müde gehn,
die Räder.
Die Steine selbst, so schwer sie sind,
die Steine!
Sie tanzen mit den muntern Reihn
und wollen gar noch schneller sein,
die Steine.
O Wandern, Wandern, meine Lust,
o Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
laßt mich in Frieden weiter ziehn
    und wandern
    
      
    
      
    
      
    Tränenregen
    
      
    
      
    Wir saßen so traulich zusammen
  
Im kühlen Erlendach,
Wir schauten so traulich zusammen
    Hinab in den rieselnden Bach.
    
      
    
      
    Der Mond war auch gekommen,
  
Die Sternlein hinterdrein,
Und schauten so traulich zusammen
    In den silbernen Spiegel hinein.
    
      
    
      
    Ich sah nach keinem Monde
  
Nach keinem Sternenschein,
Ich schaute nach ihrem Bilde,
    Nach ihren Augen allein.
    
      
    
      
    Und sahe sie nicken und blicken,
  
Herauf aus dem seligen Bach,
Die Blümlein am Ufer, die blauen,
    Sie nicken und blicken ihr nach.
    
      
    
      
    Und in den Bach versunken
  
Der ganze Himmel schien,
Und wollte mich mit hinunter
    In seine Tiefe ziehn.
    
      
    
      
    Und über den Wolken und Sternen
  
Da rieselte munter der Bach,
Und reif mit Singen und Klingen:
    Geselle, Geselle, mir nach.
    
      
    
      
    Da gingen die Augen mir über,
  
Da ward es im Spiegel so kraus;
Sie sprach: es kommt ein Regen,
    Ade! ich geh nach Haus.
    
      
    
      
    
      
    Der Wegweiser
    
      
    
      
    Was vermeid' ich denn die Wege,
  
Wo die ander'n Wand'rer gehn,
Suche mir versteckte Stege
    Durch verschneite Felsenhöh'n?
    
      
    
      
    Habe ja doch nichts begangen,
  
Daß ich Menschen sollte scheu'n, -
Welch ein törichtes Verlangen
    Treibt mich in die Wüstenei'n?
    
      
    
      
    Weiser stehen auf den Wegen,
  
Weisen auf die Städte zu,
Und ich wand're sonder Maßen
    Ohne Ruh' und suche Ruh'.
    
      
    
      
    Einen Weiser seh' ich stehen
  
Unverrückt vor meinem Blick;
Eine Straße muß ich gehen,
    Die noch keiner ging zurück.
    
      
    
      
    
      
    Der Lindenbaum
    
      
    
      
    Am Brunnen vor dem Thore
  
Da steht ein Lindenbaum:
Ich träumt’ in seinem Schatten
    So manchen süßen Traum.
    
      
    
      
    Ich schnitt in seine Rinde
  
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud und Leide
    Zu ihm mich immer fort.
    
      
    
      
    Ich mußt’ auch heute wandern
  
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab’ ich noch im Dunkel
    Die Augen zugemacht.
    
      
    
      
    Und seine Zweige rauschten,
  
Als riefen sie mir zu:
Komm her zu mir, Geselle,
    Hier findst Du Deine Ruh’!
    
      
    
      
    Die kalten Winde bliesen
  
Mir grad’ in’s Angesicht;
Der Hut flog mir vom Kopfe,
    Ich wendete mich nicht.
    
      
    
      
    Nun bin ich manche Stunde
  
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör’ ich’s rauschen:
    Du fändest Ruhe dort!
    
      
    
      
    
      
    Mut
  
    
      
    Fliegt der Schnee mir ins Gesicht,
  
Schüttl' ich ihn herunter.
Wenn mein Herz im Busen spricht,
Sing' ich hell und munter.
    
      
    Höre nicht, was es mir sagt,
  
Habe keine Ohren;
Fühle nicht, was es mir klagt,
Klagen ist für Toren.
    
      
    Lustig in die Welt hinein
  
Gegen Wind und Wetter !
Will kein Gott auf Erden sein,
Sind wir selber Götter !