 
    
    
      
    
      
    
      
    
      
    NOVALIS
    
      
    
      
    
      
    HEINRICH VON OFTERDINGEN
  
Klingsohrs Märchen von Fabel und Eros
    
      
    …..
    
      
    
      
    Nicht lange wird der schöne Fremde säumen. 
  
Die Wärme naht, die Ewigkeit beginnt.
Die Königin erwacht aus langen Träumen,
Wenn Meer und Land in Liebesglut zerrinnt.
Die kalte Nacht wird diese Stätte räumen,
Wenn Fabel erst das alte Recht gewinnt.
In Freyas Schooß wird sich die Welt entzünden
Und jede Sehnsucht ihre Sehnsucht finden.
    
      
    ……
    
      
    
      
    Die Liebe ging auf dunkler Bahn 
  
Vom Monde nur erblickt,
Das Schattenreich war aufgethan
Und seltsam aufgeschmückt.
    
      
    Ein blauer Dunst umschwebte sie 
  
Mit einem goldnen Rand,
Und eilig zog die Fantasie
Sie über Strom und Land.
    
      
    Es hob sich ihre volle Brust 
  
In wunderbarem Muth;
Ein Vorgefühl der künft'gen Lust
Besprach die wilde Glut.
    
      
    Die Sehnsucht klagt' und wußt' es nicht, 
  
Daß Liebe näher kam,
Und tiefer grub in ihr Gesicht
Sich hoffnungsloser Gram.
    
      
    Die kleine Schlange blieb getreu: 
  
Sie wies nach Norden hin,
Und beide folgten sorgenfrei
Der schönen Führerin.
    
      
    Die Liebe ging durch Wüsteneien 
  
Und durch der Wolken Land,
Trat in den Hof des Mondes ein
Die Tochter an der Hand.
    
      
    Er saß auf seinem Silberthron, 
  
Allein mit seinem Harm;
Da hört' er seines Kindes Ton,
Und sank in ihren Arm.
    
      
    …..
    
      
    
      
    Erwacht in euren Zellen, 
  
Ihr Kinder alter Zeit;
Laßt eure Ruhestellen,
Der Morgen ist nicht weit.
    
      
    Ich spinne eure Fäden 
  
In Einen Faden ein;
Aus ist die Zeit der Fehden.
Ein Leben sollt' ihr sein.
    
      
    Ein jeder lebt in Allen, 
  
Und All' in Jedem auch.
Ein Herz wird in euch wallen,
Von Einem Lebenshauch.
    
      
    Noch seid ihr nichts als Seele, 
  
Nur Traum und Zauberei.
Geht furchtbar in die Höhle
Und neckt die heil'ge Drey.
    
      
    …..
    
      
    
      
    Gegründet ist das Reich der Ewigkeit, 
  
In Lieb' und Frieden endigt sich der Streit,
Vorüber ging der lange Traum der Schmerzen,
    Sophie ist ewig Priesterin der Herzen.
    
      
    
      
    …..
    
      
    
      
    
      
    Ich sehe dich in tausend Bildern
  
    
      
    Ich sehe dich in tausend Bildern,
  
Maria, lieblich ausgedrückt,
Doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
    
      
    Ich weiß nur, daß der Welt Getümmel
  
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.
    
      
    
      
    Trost
    
      
    
      
    Wo bleibst du Trost der ganzen Welt?
  
Herberg' ist dir schon längst bestellt.
Verlangend sieht ein jedes dich,
Und öffnet deinem Segen sich.
    
      
    Geuß, Vater, ihn gewaltig aus,
  
Gieb ihn aus deinem Arm heraus:
Nur Unschuld, Lieb' und süße Schaam
Hielt ihn, daß er nicht längst schon kam.
    
      
    Treib ihn von dir in unsern Arm,
  
Daß er von deinem Hauch noch warm;
In schweren Wolken sammle ihn
Und laß ihn so hernieder ziehn.
    
      
    In kühlen Strömen send' ihn her,
  
In Feuerflammen lodre er,
In Luft und Oel, in Klang und Thau
Durchdring' er unsrer Erde Bau.
    
      
    So wird der heil'ge Kampf gekämpft,
  
So wird der Hölle Grimm gedämpft,
Und ewig blühend geht allhier
Das alte Paradies herfür.
    
      
    Die Erde regt sich, grünt und lebt,
  
Des Geistes voll ein jedes strebt
Den Heiland lieblich zu empfahn
Und beut die vollen Brüst' ihm an.
    
      
    Der Winter weicht, ein neues Jahr
  
Steht an der Krippe Hochaltar.
Es ist das erste Jahr der Welt.
Die sich dies Kind erst selbst bestellt.
    
      
    Die Augen sehn den Heiland wohl,
  
Und doch sind sie des Heilands voll,
Von Blumen wird sein Haupt geschmückt,
Aus denen er selbst holdselig blickt.
    
      
    Er ist der Stern, er ist die Sonn',
  
Er ist des ewgen Lebens Bronn,
Aus Kraut und Stein und Meer und Licht
Schimmert sein kindlich Angesicht.
    
      
    In allen Dingen sein kindlich Thun.
  
Seine heiße Liebe wird nimmer ruhn,
Er schmiegt sich seiner unbewußt
Unendlich fest an jede Brust.
    
      
    Ein Gott für uns, ein Kind für sich
  
Liebt er uns all' herzinniglich,
Wird unsre Speis' und unser Trank,
Treusinn ist ihm der liebste Dank.
    
      
    Das Elend wächst je mehr und mehr,
  
Ein düstrer Gram bedrückt uns sehr,
Laß, Vater, den Geliebten gehn,
    Mit uns wirst du ihn wieder sehn.
    
      
     
    
      
    
      
    Geistliche Lieder VI.
    
      
    
      
     Wenn alle untreu werden,
  
So bleib ich dir doch treu;
Daß Dankbarkeit auf Erden
Nicht ausgestorben sei.
Für mich umfing dich Leiden,
Vergingst für mich in Schmerz;
Drum geb ich dir mit Freuden
     Auf ewig dieses Herz. 
    
      
    
      
     Oft muß ich bitter weinen,
  
Daß du gestorben bist,
Und mancher von den Deinen
Dich lebenslang vergißt.
Von Liebe nur durchdrungen
Hast du so viel getan,
Und doch bist du verklungen,
     Und keiner denkt daran. 
    
      
    
      
     Du stehst voll treuer Liebe
  
Noch immer jedem bei;
Und wenn dir keiner bliebe,
So bleibst du dennoch treu;
Die treuste Liebe sieget,
Am Ende fühlt man sie,
Weint bitterlich und schmieget
     Sich kindlich an dein Knie. 
    
      
    
      
     Ich habe dich empfunden,
  
O! lasse nicht von mir;
Laß innig mich verbunden
Auf ewig sein mit dir.
Einst schauen meine Brüder
Auch wieder himmelwärts,
Und sinken liebend nieder,
     Und fallen dir ans Herz. 
    
      
    
      
    
      
    Wenn in bangen, trüben Stunden
    
      
    
      
    Wenn in bangen, trüben Stunden
    
      
    Unser 
    
      Herz
    
     beinah' verzagt, 
    
      
    Wenn, von Krankheit überwunden, 
    
      
    Angst in unserm Innern nagt, 
    
      
    Wir der Treugeliebten denken, 
    
      
    Wie sie Gram und 
    
      Kummer
    
     drückt, 
    
      
    Wolken unsern Blick beschränken, 
    
      
    Die kein 
    
      Hoffnungsstrahl
    
     durchblickt:
    
      
    
      
    O! dann neigt sich Gott herüber, 
    
      
    
      Seine Liebe
    
     kommt uns nah':
    
      
    Sehnen wir uns dann hinüber, 
    
      
    Steht sein 
    
      Engel
    
     vor uns da, 
    
      
    Bringt den Kelch des frischen Lebens, 
    
      
    Lispelt 
    
      Mut
    
     und Trost uns zu, 
    
      
    Und wir beten nicht vergebens
    
      
    Auch für der Geliebten Ruh'. 
    
      
    
      
    
      
    Hinüber wall ich
    
      
    
      
    Hinüber wall ich,
    
      
    Und jede Pein
    
      
    Wird einst ein Stachel
    
      
    Der Wollust seyn.
    
      
    Noch wenig Zeiten,
    
      
    So bin ich los,
    
      
    Und liege trunken
    
      
    Der Lieb' im Schooß.
    
      
    Unendliches Leben
    
      
    Wogt mächtig in mir
    
      
    Ich schaue von oben
    
      
    Herunter nach dir.
    
      
    An jenem Hügel
    
      
    Verlischt dein Glanz -
  
    Ein Schatten bringet
    
      
    Den kühlenden Kranz.
    
      
    O! sauge, Geliebter,
    
      
    Gewaltig mich an,
    
      
    Daß ich entschlummern
    
      
    Und lieben kann.
    
      
    Ich fühle des Todes
    
      
    Verjüngende Flut,
    
      
    Zu Balsam und Aether
    
      
    Verwandelt mein Blut -
    
      
    Ich lebe bei Tage
    
      
    Voll Glauben und Muth
    
      
    Und sterbe die Nächte
    
      
    In heiliger Glut.
    
      
    
      
    
      
    Bangnis
    
      
    
      
    Im welken Walde ist ein Vogelruf, 
    
      
    der sinnlos scheint in diesem welken Walde. 
    
      
    Und dennoch ruht der runde Vogelruf 
    
      
    in dieser Weile, die ihn schuf, 
    
      
    breit wie ein Himmel auf dem welken Walde. 
    
      
    Gefügig räumt sich alles in den Schrei: 
    
      
    Das ganze Land scheint lautlos drin zu liegen, 
    
      
    der große Wind scheint sich hineinzuschmiegen, 
    
      
    und die Minute, welche weiter will, 
    
      
    ist bleich und still, als ob sie Dinge wüsste, 
    
      
    an denen jeder sterben müsste, 
    
      
    aus ihm herausgestiegen.
    
      
    
      
    
      
    Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
    
      
    
      
    Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
  
Sind Schlüssel aller Kreaturen
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die Tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurück begeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die wahren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem geheimen Wort
    Das ganze verkehrte Wesen fort.
    
      
    
      
    
      
     An Adolph Selmnitz
    
      
    
      
     Was paßt, das muß sich ründen,
  
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammensein.
Was hindert, muß entweichen,
Was krumm ist, muß sich gleichen,
Was fern ist, sich erreichen,
     Was keimt, das muß gedeihn.
    
      
    
      
     Gib traulich mir die Hände,
  
Sei Bruder mir und wende
Den Blick vor Deinem Ende
Nicht wieder weg von mir.
Ein Tempel – wo wir knieen –
Ein Ort – wohin wir ziehen
Ein Glück – für das wir glühen
Ein Himmel – mir und dir.
    
      
    
      
    Wer Schmetterlinge lachen hört 
    
      
    
      
    Wer Schmetterlinge lachen hört,
  
der weiss, wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein,
ungestört von Furcht,
die Nacht entdecken.
    
      
    Der wird zur Pflanze, wenn er will,
  
zum Stier, zum Narr, zum Weisen
und kann in einer Stunde,
durchs ganze Weltall reisen.
    
      
    Wer in sich fremde Ufer spürt,
  
und den Mut hat, sich zu recken,
der wird allmählich,
ungestört von Furcht,
sich selbst entdecken.
    
      
    Wer Schmetterlinge lachen hört,
  
der weiss, wie Wolken schmecken.
Der wird im Mondschein,
ungestört von Furcht,
die Nacht entdecken.
    
      
    Wer mit sich selbst in Frieden lebt,
  
der wird genau so sterben,
und ist selbst dann
    lebendiger als alle seine Erben.
    
      
    
      
    
      
    Es färbte sich die Wiese grün
  
    
      
    Es färbte sich die Wiese grün
  
Und um die Hecken sah ich blühn,
Tagtäglich sah ich neue Kräuter,
Mild war die Luft, der Himmel heiter.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    Und immer dunkler ward der Wald
  
Auch bunter Sänger Aufenthalt,
Es drang mir bald auf allen Wegen
Ihr Klang in süßem Duft entgegen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    Es quoll und trieb nun überall
  
Mit Leben, Farben, Duft und Schall,
Sie schienen gern sich zu vereinen,
Daß alles möchte lieblich scheinen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    So dacht ich: ist ein Geist erwacht,
  
Der alles so lebendig macht
Und der mit tausend schönen Waren
Und Blüten sich will offenbaren?
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    Vielleicht beginnt ein neues Reich 
  
Der lockre Staub wird zum Gesträuch
Der Baum nimmt tierische Gebärden
Das Tier soll gar zum Menschen werden.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    Wie ich so stand und bei mir sann,
  
Ein mächtger Trieb in mir begann.
Ein freundlich Mädchen kam gegangen
Und nahm mir jeden Sinn gefangen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    Sie ging vorbei, ich grüßte sie,
  
Sie dankte, das vergeß ich nie
Ich mußte ihre Hand erfassen
Und sie schien gern sie mir zu lassen.
Ich wußte nicht, wie mir geschah,
Und wie das wurde, was ich sah.
    
      
    Uns barg der Wald vor Sonnenschein
  
Das ist der Frühling fiel mir ein.
Kurzum, ich sah, daß jetzt auf Erden
Die Menschen sollten Götter werden.
Nun wußt ich wohl, wie mir geschah,
    Und wie das wurde, was ich sah.